Route Nationale
Ich liege im Bett. Ich träume. Ich träume von einer sanften Meereswelle, die leise auf mich zu rollt. Das Rauschen wird lauter, es wird ohrenbetäubend. Doch dann ebbt es wieder ab. Eine Stunde später fragt mich Roadine , ob wir vielleicht das Fenster zu machen sollen. Was will sie von mir?! ?! ?!
Morgens um 5 Uhr weiß ich dann, dass ich den Bericht von gestern korrigieren muss. Ich liebe das erwachende Frankreich an einem SONNTAGmorgen in einem verschlafenen Ort, nicht an einem MONTAGmorgen in unserem Hotel mit Fenster Richtung Route national.
Ja, wir hätten das Fenster schließen sollen. Dann wären die LKW ab 5 Uhr auch da geblieben, wo sie hingehören – draußen!
Das hervorragende Frühstück im Hotel reißt es aber wieder heraus. Regionale Salami, Käse, Orangensaft, Baguette, Croissants und eine super schnelle nette Bedienung – so kann der Tag starten!
Wir bringen das Gepäck zum Bus und helfen uns anschließend alle gegenseitig, die Motorräder rückwärts aus der Naturboden-Garage zu schieben.
In der ersten Stunde sind die Lichtverhältnisse echt schwierig. Entweder blendet einen die noch sehr tief stehende Morgensonne, oder man fährt in die noch sehr dunklen Wälder hinein und hofft, dass die Straße wie in etwa vorhergesehen weiter verläuft.
Das alleine erklärt aber nicht, dass ich auch die erste Stunde mit mir selbst kämpfe. Während ich konsequent auf den grauen Quadratmeter Asphalt vor meinem Vorderreifen starre, halte ich mich krampfhaft am Lenker fest und weiß dabei jede Sekunde “SO nicht!”
Ich hoffe inständig, dass es nicht die ganzen 300 km heute so geht.
Hinter dem Col de Finiels eröffnet sich ein toller Blick auf die Cevennen und wir nutzen die Gelegenheit für die obligatorischen Fotos.
Danach klappt es auch mit dem Zweirad wieder besser. Immerhin schaue ich schon auf das Nummernschild meines Vorgängers, die Blickführung wird also besser. 😉
Bei Florac biegen wir steil Richtung Süden ab und folgen dem Tarnon bis nach Rousse. In einem sehr netten Café am Straßenrand erhalten wir die dringend benötigte flüssige Stärkung.
Ich nutze wie immer die Zeit, die Strecke ganz “old school” in die Karte zu übertragen, ist für mich plastischer und begreifbarer. 😉
Doch schon brechen wir wieder auf, dass nächste Ziel ruft! Jetzt läuft es auf dem Motorrad endlich so, wie ich mir das heute schon die ganze Zeit gewünscht habe. Die kleine Schwarze tanzt willig um die Kehren und stürmt in die weiten Kurven unter mir und ich lasse sie. Sie kann das so schön! 🙂
Wir schwingen durch den Gorge du Tapoul, erklimmen den Mont Aigoual, stürzen uns herab
Richtung l’Espérou, bevor wir uns im Gorge de Durbie schwindelig kurven. Bei knapp über 20 Grad könnte ich ewig so fahren….
Und es wird Herbst! Die ersten einsamen Kastanien liegen auf der Straße, die Gräser sind vertrocknet und auch das Laub schillert in allen Farben von grün über gelb bis rostrot. Je südlicher wir kommen, desto südlicher riecht es auch. Die Kiefern verströmen ihren harzigen Duft und in den felsigen Abschnitten riecht man die verstreuten Schafe, die sich um die wenigen trockenen Grashalme streiten.
Auf kleinsten Straßen geht es weiter, wir überqueren die A75 bei Le Caylar und finden endlich in Lunas etwas zu essen… Es ist halb zwei und wir haben nach 200 km echt Hunger!
Wir finden unter Platanen ein süßes Lokal mit tollen Tagesgerichten und genießen bei einer angenehmen Brise die Schatten spendenden Bäume.
Dem Orb folgen wir Richtung Bellarieux, eine silberne CBF zwingt uns zu einem zeitigen Tankstop. 😉 (Ich darf das eigentlich nicht schreiben, Roadine wird mich treten.) 😉
Wolken aus aufwirbelndem Staub begleiten uns bei Hitze und kräftigem Wind immer weiter dem Orb entlang bis Olargues. Bei Prémian thront hoch über uns die goldene Notre-Dame de Trédos. Beeindruckend!
Bei St. Pons de Thomières wechseln wir wieder einmal die Richtung, wir müssen ja noch ein Stück Strecke machen. Richtung Süden geht es auf einer toll ausgebauten D907, bevor wir wieder einmal bei der Hitze eine kurze Pause brauchen. Statt Platanen sind es nun Kastanien, aber auch dieses Lokal ist super gewählt. Wieder unter Schatten, wieder leichter Wind: Vive la France!!!
Selbst der Ausblick aus der Toilette des Cafés lädt zum Verweilen ein.
Die letzten Kilometer sind nicht mehr so spannend. Immer geradeaus geht es im Berufsverkehr Richtung Carcassonne. Der Wind kämpft mit uns, aber wie ein Dreimaster auf hoher See halten wir tapfer dagegen!
Die Ankunft am Hotel ist ernüchternd. Kein Blick auf die Stadt, in einem Ibis vor den Toren der Stadt bekommen wir keinen Eindruck dieser faszinierenden Stadt. Nun ja, kann man nichts machen.
Ein Feierabendbier haben wir uns verdient, oder zwei. Wir schaffen es sogar, jemanden unter den Tisch zu trinken. Gut, es waren die Stühle im Wind – aber immerhin! 🙂
Betrunken gehen wir unter die erfrischende Dusche und hoffen auf eine späte Grundlage – das Abendessen!
Morgen ist unsere Ziel Spanien – mit neuem Tourguide, den anderen haben wir aufgebraucht! 😉
Anmerkungen des Tages:
Anmerkung 1:
Es gibt große Bier und große Bier.
Anmerkung 2:
Man kann es schaffen, vier Tweetys auf ein Bild zu bekommen.
Anmerkung 3:
Gestern sind wir Richtung “toutes directions” gefahren, heute Richtung “autres directions” . Beides war sehr schön! Muss ich mir merken – da möchte ich noch mal hin. 🙂